Allen kommt eine Würde zu

Das Partnerland des Bistums, Kolumbien, bewältigt eine große Herausforderung durch Binnenflüchtlinge

Vertriebene Nachricht (c) Adveniat
Vertriebene Nachricht
Datum:
28. März 2017
Von:
Kathrin Albrecht
890000 geflüchtete Menschen hat Deutschland 2015 aufgenommen. Nach der Frage der Unterbringung stehen die Kommunen nun vor der Aufgabe, diese Menschen dauerhaft in die Gesellschaft zu integrieren.
Vertriebene Quadrat (c) Adveniat
Vertriebene Quadrat

 Wie kann das funktionieren? Welche Mittel stehen dafür zur Verfügung und was braucht es, um wirklich eine Perspektive geben zu können?

Doch blickt man sich etwas um in der Welt, steht die Bundesrepublik Deutschland nicht allein vor diesem Problem. In Kolumbien herrschte 60 Jahre lang ein gewalttätiger Konflikt, der Millionen von Menschen zwang, ihre Existenz aufzugeben. Allein 2015 waren 6,9 Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Damit belegte das Land in der Statistik des International Deplacement Monitoring Centre Platz zwei hinter Syrien, noch vor anderen Krisenherden wie Afghanistan oder dem Irak. Auch Kolumbien steht vor der Aufgabe, den Vertriebenen eine neue Perspektive zu geben. Wie das funktionieren kann, erzählten Paola Sanchez Poveda, William Télez Zombrano, Luis Paéz und Rubén Gomez Avila. Die vier waren auf Einladung des Bistums Aachen, des Diözesanrates der Katholiken, des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), des Hilfswerks Misereor und der Katholischen Hochschule Aachen zu einem Fachgespräch in die Domstadt gekommen, um über ihre Arbeit mit den vertriebenen Menschen zu berichten. Viele, die selbst im Bistum Aachen in der Flüchtlingsarbeit engagiert sind, waren zum Gespräch in die Aula der KatHO gekommen, darunter Altfrid Spinrath vom Diözesanrat und zugleich Katholikenrat der Region Kempen-Viersen und Diakon Martin Schlicht, Seelsorger in der Flüchtlingsarbeit in der Region Düren.

Paola und William arbeiten in der Stadt Líbano für „Hogar del nino“, einem von Dominikanern gegründetem Hilfswerk, das sich auf die Arbeit mit gefährdeten und misshandelten Kindern und Jugendlichen spezialisiert hat. In Ibagué, nahe der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, ist „Concern universal“ angesiedelt. Luis und Rubén arbeiten hier ebenfalls mit Kindern und Jugendlichen sowie Frauen, leiten Projekte zu Bildung und Gesundheit und bestärken die Menschen darin, aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzuhaben.

 

Es gibt viele Parallelen zu Deutschland, aber auch grundlegende Unterschiede

„Sie sind bereits einmal Opfer geworden. Unsere Aufgabe ist es zu verhindern, dass das wieder geschieht“, sagt Luis. Beide Einrichtungen arbeiten auch mit vertriebenen Menschen. Viele Parallelen hörten die rund 50 Besucher zur Situation in Deutschland heraus: Auch in Kolumbien durchlaufen die Menschen eine behördliche Registrierung, bevor sie offiziell als Vertriebene von den Behörden anerkannt werden und die jeweiligen Hilfsleistung, wie Wohnungen und Hilfsprogramme, in Anspruch nehmen können. Auch die Vertriebenen sind entwurzelte Menschen und haben alles verloren. „Meistens handelt es sich um Bauern, die von den Guerillas oder den Milizen von ihrem Land vertrieben wurden. Ihnen ist die Stadt fremd, mit ihren Fähigkeiten können sie dort nichts anfangen“, beschreibt William die Situation. Wichtig sei, ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen, aber auch am wirtschaftlichen Leben zu ermöglichen.

 

Es gilt hier wie dort, solidarisch zu sein, die Bedürfnisse des anderen anerkennen

Bei „Concern universal“ gelang es, ein Projekt aufzubauen, in dem Männer Schuhe und Frauen Kleidung herstellten, erzählt Rubén: „So hatten die Menschen nicht nur eine Aufgabe. Es gelang ihnen auch, ihre Existenz mit dieser Arbeit zu sichern.“ Bei beiden Organisationen steht das Kindeswohl im Vordergrund. „Gerade weil sie besonders verletzlich sind, ist es unsere Aufgabe, ihren Rechten Geltung zu verschaffen“, betont Rubén. Dort, wo die Vertriebenen neu angesiedelt werden, erfahren sie oft Stigmatisierung durch ihre Umgebung. Sie gelten als Bettler oder ihnen wird vorgeworfen, sie selbst seien Mitglieder der Guerilla.

Auf eine andere Konfliktlinie macht Luis aufmerksam: Oft komme es zu Konflikten zwischen den „Desplacidos“ und der ärmeren Bevölkerung, weil erstere Unterstützung und Garantien erhalten, die, wie Luis sie nennt, „historische Arme“ so nicht erhalten. Der Friedensprozess, der Ende des vergangenen Jahres ratifiziert wurde, hat die Situation nicht entspannt. Die Vertreibungen gingen weiter, ob die Desplacidos jemals ihre Rechte an ihrem verlorenen Land geltend machen könnten, bliebe zweifelhaft. Viele Interessen spielten da mit hinein, das Land sei inzwischen von anderen, meist Guerilla-Angehörigen, besiedelt worden und werde für den Coca-Anbau genutzt.

Beide Organisationen sind Nichtregierungsorganisationen. Und auch, wenn sie oft eng mit den staatlichen Behörden vor Ort zusammenarbeiten, sehen sie sich als Anwälte dafür, dass die offiziell zugesicherten Rechte auch zugestanden werden.

Was nahmen die deutschen Engagierten mit? Für eine Zuhörerin waren es drei Dinge: Erstens die Vertriebenen dort zu integrieren, wo sie sind. Hier bei uns gebe es nur Kurzfristigkeit und das Bestreben, sie woanders hinzuschieben. Zweitens der Einsatz für die politischen Rechte der Vertriebenen, das geschehe in Deutschland noch immer viel zu wenig. Und drittens: Kinder und Jugendliche stehen im Fokus. Dazu im Gegensatz der aktuelle Bericht der Kinderhilfsorganisation Unicef, der zeigt, dass vor allem Kinder und Jugendliche am meisten unter der Flucht leiden und ihre Rechte am häufigsten missachtet werden.

Doch ein Unterschied schälte sich während des Abends heraus: In Deutschland gilt es, Menschen aus einem anderen Kulturkreis mit einer anderen Religion und einer anderen Sprache zu integrieren. Die Sprachbarriere sei ein großes Problem. Einen Rat geben, wie dies zu überwinden sei, konnten die vier nicht. Doch William rief etwas Grundlegendes für die Begegnung mit anderen in Erinnerung: „Wenn jemand Fremdes in mein Haus kommt, fühlt man eine Unbequemlichkeit. Das schürt Ängste. Wir dürfen nicht vergessen: Allen Menschen kommt eine Würde zu, wir sind aufgerufen, solidarisch zu sein und die Bedürfnisse des anderen anzuerkennen.“

William Original (c) Kathrin Albrecht
Rubén Original (c) Kathrin Albrecht
Luis Original (c) Kathrin Albrecht